Collage mit fünf Autor*innen zum Corona-Blog

Corona-Blog: Wiederaufnahme Herbst 2021

Porträt von Jörg Isermeyer
© privat

Jörg Isermeyer am 8. und 11. November 2021

Jörg Isermeyer, geboren 1968 in Bad Segeberg. Nach einem Studium der Soziologie, Psychologie und Pädagogik in Göttingen zog er die freie Künstlerlaufbahn einer Universitäts-Karriere vor und lebt heute als Schauspieler, Regisseur, Theaterpädagoge, Musiker und Schriftsteller mit seiner Familie in Bremen.

Kontakt: j.isermeyer@gmx.de

Ich bin ein Gescheiterter! Hab’s nicht hingekriegt! Also das mit dem Schweigen. Mit dem Verstummen, zumindest dem Verstummen in der Öffentlichkeit. Um mich dem ständigen medialen Getöse zu entziehen, dort wo weniger mal wirklich mehr wäre - der Überflutung des Netzes mit immer mehr Schnipseln, die eigentlich nur die eine Botschaft haben: „ICH! ICH! ICH! ICH BIN DA! UND ICH BIN WICHTIG!!!!!!!!!!!!!!!!“

Vielleicht weil ich als einzige Ausnahme wirklich wichtig bin ...

(Einschub: Falls Sie diesen Gedankengang in der Kürze nicht nachvollziehen können, lesen Sie einfach nochmal meinen Blog vom Sommer 2020 auf dieser Seite weiter unten – ich knüpfe nicht nur in dieser Hinsicht hier daran an. Aber vielleicht lassen Sie’s auch lieber, auch hier könnte weniger mehr sein.)

Obwohl es am Anfang für mein Verstummen gut aussah. Ich hatte sogar Hilfe von den Verlagen:
Mein Kinderroman über den Klimawandel – überall abgelehnt.
Mein Kinderroman über sich scheidende Eltern – überall abgelehnt.
Den Kinderroman über die psychischen Nebenfolgen von Corona habe ich in vorauseilendem Gehorsam gar nicht erst geschrieben.
Das Exposé samt Probekapitel für einen Kinderroman zum Thema Medienkonsum – abgelehnt.
Das Exposé samt Probekapitel für einen zweiten Kinderroman zum Thema Klimawandel – ebenfalls abgelehnt.

Dummerweise ließ eine Lektorin nebenbei den Satz fallen: „Schreiben Sie uns doch mal ein lustiges Tierbuch.“ Naja, was soll ich sagen ... ich bin auch nur ein Mensch. Und jetzt stehe ich im Frühjahr doch wieder in den Regalen.

Das ist wohl der Zeitgeist. Probleme gibt es genug. Aber sich damit beschäftigen? Lieber nicht. Das sollen andere. Zum Beispiel Politiker:innen. Wofür sind die sonst da? Und natürlich wählt man die, die einem am wenigsten damit behelligen, wie sie die Probleme lösen wollen – denn dann müsste man sich ja doch wieder damit beschäftigen. Phrase genügt.

Aber da mich der Zeitgeist nicht interessiert und das mit dem Verschwinden nicht geklappt hat, bin ich den entgegengesetzten Weg gegangen und habe mich – während ich durch Corona ansonsten stark ausgebremst war – in die SM-Arbeit gestürzt. Also SM = Social Media ... die Doppeldeutigkeit der Abkürzung hat ja durchaus einen gewissen Wahrheitsgehalt. Das Ganze nicht für mich und die Selbstvermarktung, das wäre mir zu langweilig. Nein, natürlich für die Weltrettung!

Darunter mache ich es nicht.

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„Ey, du Agist!“ (sprich: Eydschist) – als ich den Begriff, der dem Gegenüber wahlweise eine Jugend- oder Altenfeindlichkeit unterstellt, letztes Jahr in diesem Blog erfand, fand ich das vor allem ... ähm ... lustig. Mittlerweile wundert es mich fast, dass er nicht zum Alltag gehört. Denn schließlich haben wir ein Problem mit der „Generationengerechtigkeit“.

Einerseits wurde die Solidarität der jüngeren Generation mit den Älteren über die Corona-Zeit immer wieder eingefordert und (abgesehen von ein paar Partys) im Wesentlichen auch gegeben – und das obwohl die Kinder und Jugendlichen am stärksten unter den Einschränkungen zu leiden hatten und ihre Belange meist nur unter dem Aspekt berücksichtigt wurden, inwieweit Mama und Papa zur Arbeit können.

Andererseits gibt es die Klimakrise, die uns Ältere kaum noch betrifft - und die die nächsten Generationen auszubaden haben. Dementsprechend haben es laut einer Umfrage des NABU diesen Herbst auch fast 60 % der über 65-Jährigen abgelehnt, die Klima- und Naturschutzinteressen junger Generationen bei ihrer Wahlentscheidung auch nur zu berücksichtigen. Und der Wahlausgang spricht für sich. Solidarität – Pustekuchen! Nach uns die Sintflut. Oder die Wüste. Oder was auch immer ...

Und jetzt zu meinen SM-Erfahrungen: Mit ein paar Leuten habe ich die Kampagne „#WirStimmenZusammen“ ins Leben gerufen, mit der wir Jugendliche motivieren wollten, mit ihren Großeltern im Hinblick auf die Bundestagswahl zum Thema Klimakrise ins Gespräch zu kommen. Nach dem Motto: „Ich darf nicht wählen, aber es geht um meine Zukunft!“

Leider sind wir etwas spät gestartet. Eine wunderbare Webseite (www.wir-stimmen-zusammen.de), einen Instagram-Kanal mit knapp 2500 Abonnent*innen und kurz vor der Wahl ein ganzseitiger Artikel in der Süddeutschen – aber eine Massenbewegung haben wir nicht losgetreten. Und ob die 6 bis 7 % Abwanderung bei den älteren Wähler*innen von der CDU in Richtung Grün auf unser Konto gehen, wage ich zu bezweifeln.

Eine verwandte Kampagne hat da zumindest mehr mediale Öffentlichkeit erreicht, allerdings eher in Form von Gegenwind. Über die „Enkelkinderbriefe“ sind von Bild bis Welt und von Cicero bis Zeit alle Medien hergefallen. Zugegeben finde ich unseren Ansatz besser - ein Gespräch geht tiefer als ein Brief aus vorformulierten Sätzen. Und er impliziert das gegenseitige Zuhören. Aber auch so ein Brief ist der Anfang eines Dialoges – wenn er nicht gleich mit dem Vorwurf der Manipulation und der Instrumentalisierung abgeblockt wird. Das Gespräch ist die Grundlage unserer Demokratie. Die Möglichkeit, für eine Meinung einzutreten und andere davon zu überzeugen. Und kein Kind, kein Jugendlicher schreibt einen Brief (nicht mal einen vorformulierten), wenn da nicht das Bedürfnis ist, für die eigene Meinung etwas zu tun.

Womit wir wieder beim Anfang wären. Wenn der Versuch, die Generationen miteinander ins Gespräch zu bringen, in manipulativer Absicht als Manipulation dargestellt wird, dann dauert es wahrscheinlich wirklich nicht mehr lange, bis sich auf der Straße alle mit „Ey, du Agist!“ anblaffen.

Wahrlich, ich wollte nie ein Prophet sein (und ein Copyright für den Begriff melde ich auch nicht an). Aber wo ich den „Agismus“ doch kommen sehe!

Naja, Kassandra wollte auch niemand zuhören.

Also schweige ich jetzt von künftigen Gefahren und setze mich an Band 2 von dem „lustigen Tierbuch“.

Das will der Verlag nämlich unbedingt haben.



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